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CHAMPIDOS
im
großen Wald
Es ist schon sehr lange her, es war vielleicht im Jahre 1930, als zwei Kinder in einem winzig kleinen Häuschen an einem Waldrand wohnten.
Das Mädchen war fünf Jahre alt und hieß Olivchen. Sie war sehr schön und zart mit dunkelbraunen glänzenden Löckchen und hellblauen Augen. Von ihrer Mutter wurde sie allerdings Ollie genannt, weil sie manchmal auch Dummheiten machte, und das fand ihre Mutter einfach olliedumm.
Der Junge war sieben Jahre alt und hieß Bonnie, ein kleiner, etwas dicker Junge mit kurzem Igelhaar, braunen Augen mit einer kleinen Brille. Mit seiner Brille sah er aus wie ein kleiner Professor. Er war nicht größer als seine kleine Schwester, doch hatte er immer Lust zum Essen und hatte darum natürlich ein dickes Bäuchlein und sein Vater nannte ihn Bollie.
Ollie und Bollie hatten ein eigenes Zimmer, jedoch mit ganz wenig Spielzeug aus Holz. Das Spielzeug, das sie besaßen, hatte ihr Vater für sie selbst gemacht.
Es war ein sehr nasser Sommer mit wenig Sonne, und Ollie und Bollie gingen schon wieder seit einigen Tagen zur Schule.
Als Ollie und Bollie nach den vielen Regentagen an einem wunderbaren sonnigen Tag mittags aus der Schule kamen, sagte Ollie zu Bollie:
"Bollie, sollen wir auf der anderen Seite im Wald Champidos suchen?"
Bollie guckte erstaunt hinter seiner kleinen Brille hervor. So ein Wort hatte er noch nie zuvor gehört - wo er doch dachte, daß er schon alles wußte!
"Was sind denn Champidos?" fragte er Ollie.
"Nun, das sind alle Pilze, die es auf der ganzen weiten Welt gibt, hat die Lehrerin uns in der Schule erzählt, und es gibt ganz viele. Und nur Kinder können mit den Champidos sprechen, und auch nur dann, wenn sie lieb sind und sie nicht anfassen."
"Das glaub' ich nicht", sagte Bollie und schaute schräg über seine kleine Brille hinweg.
"Ich werde Papa heute abend fragen, wenn er von seiner Arbeit in der Fabrik nach Hause kommt", sagte Bollie.
"Nein, nein", sagte Ollie, "das darfst Du nicht, weil große Menschen nämlich nicht mit Champidos sprechen können, sie sprechen nur mit kleinen Kindern, hat die Lehrerin gesagt."
"Und wenn Du mir nicht glaubst", sagte Ollie, "dann gehen wir zur anderen Seite im Wald und werden sie dort suchen."
"Gut", sagte Bollie, "aber zuerst fragen wir Mama, Du weißt doch, daß Papa und Mama es uns nicht erlauben, allein in den Wald zu gehen."
"Mama, dürfen Ollie und ich im Wald spielen?" fragte Bollie.
"Ist gut", sagte Mama, "geht aber nicht zu weit weg, denn im Wald kann so Vieles geschehen, vor allem, wenn es dunkel ist. So lange ihr unser Haus noch sehen könnt, finde ich es gut", sagte Mama. "Und wenn Papa in einer Stunde nach Hause kommt, werde ich Euch zum Essen rufen."
Ollie und Bollie gingen Hand in Hand hinaus. Sie überquerten den Sandweg vor ihrem Haus und liefen in den großen Wald hinein.
"Oh, sind die Bäume aber groß" sagte Ollie zu Bollie.
"Ja", sagte Bollie, "sie hören nie auf zu wachsen, weil sie gern zur Sonne schauen wollen, hat Papa mir erzählt."
"Bollie, komm', sollen wir mal gucken, wer zuerst bei dem großen dicken Baum dort ist?" rief Ollie.
"Oh, ja!", sagte Bollie, denn er dachte, daß er doch schneller rennen konnte als seine kleine Schwester.
Sie rannten alle beide los zum dicken Baum, aber ganz schnell holte Ollie Bollie ein, denn Bollie konnte mit seinem Bäuchlein doch nicht so schnell rennen.
Plötzlich rutschte Bollie aus und fiel schnurstracks auf den Boden.
"He, du, paß' doch auf" hörte er eine kleine Stimme sagen.
"Ollie, Ollie, was hast du gesagt?" sagte Bollie.
Ollie drehte sich um und berührte dabei den großen, dicken Baum.
"Ich bin zuerst da, ich hab' gewonnen!", rief Ollie und schaute zu ihrem Bruder hinab,
der zwischen den Eichenblättern auf dem Boden lag.
"Paß' doch besser auf", hörte Bollie wieder eine Stimme ganz leise sagen.
Bollie verschlug es vor Erstaunen die Sprache.
"Ollie, Ollie", rief er seiner Schwester zu, "ich habe eine Stimme gehört."
"Sei nicht albern!" sagte Ollie. "Ich sehe niemanden."
"Doch, komm' schnell zu mir, dann kannst Du es auch hören."
Ollie rannte zehn Schritte zurück, rutschte aus und landete über den Boden rollend genau neben Bollie.
"He, du, paß' doch auf", hörte jetzt auch Ollie eine Stimme ganz leise sagen.
Auch ihr verschlug es vor Erstaunen die Sprache.
"Bollie, Bollie, ich höre auch eine Stimme", sagte sie ganz erstaunt.
Bollie fegte ein paar Eichenblätter weg und was sie dann sahen, hatten Ollie und Bollie in ihrem ganzen Leben noch nie gesehen.
So viele gelbe Pilze beieinander.
"Ihr müßt besser aufpassen" sagte plötzlich der größte Pilz von allen Pilzen "und, wie heißt ihr eigentlich?"
"Sie, sie heißt Ol… Ol… Ollie und sie ist meine meine meine kleine Schwester und… und… und ich… ich… ich… ich heiße… heiße B… B… Bollie", stammelte Bollie.
"Siehst du wohl, daß es doch Champidos gibt!" sagte Ollie,
die sich von ihrem Schrecken schon längst erholt hatte.
"Und Champidos können auch noch sprechen!" sagte sie gleich hinterher zu ihrem Bruder.
"Ja", sagte der gelbe Pilz" das stimmt, wir wachsen bei den Eichenbäumen und alle kleinen Kinder können mit uns sprechen. Ihr müßt aber ganz vorsichtig um uns herum gehen, denn wenn ihr auf uns tretet, dann sterben wir."
"Wie heißt du?" fragte Bollie, der sich auch endlich von seinem Schrecken erholt hatte und sich seiner Schwester gegenüber tapfer halten wollte.
"Ich heiße PFIFFERLING", sagte der gelbe Pilz.
"Welch ein schöner Name", sagte Ollie, während beide mit ihren Händen unter ihren Köpfen auf dem Boden lagen und zu den PFIFFERLINGEN aufschauten.
Bollie wollte sofort alles wissen und stellte endlos Fragen.
Bollie fragte auch, warum er die PFIFFERLINGE noch nie gesehen hatte.
"Das kommt daher," sagte der große PFIFFERLING, "weil wir nur wachsen, wenn es im Sommer viel geregnet hat, dann kommen wir im September und Oktober aus unserem Schlaf."
"Hast du auch Freunde" fragte Ollie.
"Ja", sagte der große PFIFFERLING, "es gibt im Wald noch viel mehr Champidos. Wenn ihr zu dem dünnen Baum dort rechts von mir gehen wollt, dann seht ihr meinen Freund STEINPILZ."
"Und bei dem Baum dort" wies der PFIFFERLING mit seiner linken Hand an,
"dort wohnt mein Freund GEFELDERTER GRÜNTÄUBLING" .
"Und bei dem vierten Baum von rechts, wohnt HERBSTTROMPETE, aber das ist ein Angeber", sagte PFIFFERLING und zuckte mit den Schultern.
Als Bollie noch mit PFIFFERLING redete, lief Ollie nach rechts, so, wie PFIFFERLING es ihnen gesagt hatte.
"Bollie, Bollie komm' hier mal gucken!" rief Ollie, als sie bei dem dünnen Baum angekommen war.
"Hier stehen ganz viele Champidos mit braunen Hütchen und einem Bäuchlein, so wie du es hast!"
"Na, na, na" sagte STEINPILZ,
"du brauchst mich gar nicht so zu beschimpfen, nur weil ich ein Bäuchlein habe, da kann ich doch nichts für, ich wachse immer so."
"Oh, entschuldige bitte", sagte Ollie, "so habe ich es auch nicht gemeint, ich finde es nur lustig mit dem braunen Hütchen."
Bollie verabschiedete sich von den PFIFFERLINGEN und lief zu seiner Schwester.
"Das ist STEINPILZ", sagte er ganz weise, denn das hatte er gerade von Pfifferling gehört.
Er kniete sich nieder und quasselte gemütlich auf STEINPILZ ein.
Ollie hüpfte gleich wieder los zur anderen Seite und fand dort ein paar Champidos mit grünbraunen Hütchen.
Ollie setzte sich zu ihm und sagte: "Und wie heißt du?"
"Ich heiße GEFELDERTER GRÜNTÄUBLING."
"Wie kommt es denn, daß dein Hut eingerissen ist, und daß dein Bauch schon so braun ist, wo es doch so viel geregnet hat?" fragte Ollie.
"Der eingerissene Hut und der braune Bauch kommen daher, weil ich schon etwas älter bin als Pfifferling", antwortete GEFELDERTER GRÜNTÄUBLING.
"Oh, dann bis du bestimmt genauso alt wie mein Opa," sagte Ollie.
"Nein, eigentlich nicht. Wir haben aber ein kürzeres Leben,
und so gesehen hast du doch wohl etwas recht".
"Bollie, komm' mal her, hier stehen ein paar alte Opas mit eingerissenen grünen Hütchen!" rief Ollie.
"So, ich gehe jetzt, bis bald", Ollie stand auf und hüpfte wieder weiter zum vierten Baum,
den Pfifferling ihr auch gezeigt hatte.
Beim vierten Baum angekommen, kniete sie sich neben die Champidos.
"Hallo, wie heißt du?" fragte Ollie den Champido, der am nächsten bei ihr stand.
"Ich heiße HERBSTTROMPETE",
sagte er ziemlich angeberisch.
"Du hast ja eine ganz dicke Beule in deinem Hut, der fast bis auf den Boden hängt und du bist ja ganz schwarz!" prustete Ollie hervor.
HERBSTTROMPETE stellte sich kerzengerade hin und antwortete ziemlich beleidigt: "Junges Fräulein, ich kann zufällig eine ganze Menge Wasser auffangen, und darum lebe ich auch viel länger als all die anderen Champidos!"
Ollie fand HERBSTTROMPETE nicht so amüsant und verabschiedete sich auch bald wieder von ihm. Sie lief schnell zurück zu Bollie, der nun mit GEFELDERTER GRÜNTÄUBLING redete.
Plötzlich hörten Ollie und Bollie ihre Mutter rufen.
"Ollie und Bollie, das Essen ist fertig! Kommt ihr?
"Komm', wir müssen nach Hause", sagte Bollie zu Ollie.
"Halt, warte eben", sagte ROHER TÄUBLING. "Ihr dürft mit Erwachsenen nicht hierüber sprechen, sonst können wir nicht mehr mit euch sprechen!"
"Gut", sagten Ollie und Bollie, "dürfen wir morgen denn wieder zurückkommen?
Wir fanden es richtig schön mit euch!"
"Natürlich, so oft ihr möchtet. Zuerst müßt ihr aber immer euren Vater oder eure Mutter fragen, sagte GEFELDERTER GRÜNTÄUBLING.
"Gut, das machen wir! Bis morgen", rief Bollie.
"Tschüs, Opa, und schlaf gut", rief Ollie.
Uns sie liefen zusammen Hand in Hand zurück nach Hause.
"Siehst du, daß die Lehrerin in der Schule doch recht gehabt hat" sagte Ollie zu Bollie.
"Ja", sagte Bollie, "ich wußte wirklich nicht, daß es Champidos gibt, aber wir dürfen Papa und Mama nichts davon erzählen. Das ist unser Geheimnis."
"Ja", seufzte Ollie, die noch immer nicht verstehen konnte, daß Bollie ihr nicht glauben wollte. Die Lehrerin in der Schule sagt doch immer die Wahrheit.
Und sie liefen zusammen mit einem kleinen Lächeln in ihren Gesichtern über den Sandweg zurück nach Hause.